Serie: Exodus
Benjamin Fondane Vorwort in prosa
‒ nun denn, ihr sollt wissen, ich hatte ein Gesicht
wie ihr. Einen Mund mit dem selben Gebet wie ihr…
Gewiss, ich war genau so grausam wie ihr, ich
durstete nach Zartlichkeit, nach Macht,
nach Gold, nach Genuss und nach Schmerz.
So wie ihr war ich ein mieser verangstigter Mensch,
gefestigt im Frieden, enthemmt im Sieg,
entgeistert und wankend zur Stunde des Scheiterns!
Ja, ich war ein Mensch wie alle andern,
mit Brot, mit Traum, mit Verzweiflung gesattigt.
O ja, ich habe geliebt, habe geweint, habe gehasst,
habe gelitten, ich habe Blumen gekauft und nicht
immer die Miete bezahlt.
…
Und dennoch, nein!
Ich war kein Mensch wie ihr.
Ihr seid ja nicht unterwegs geboren, niemand
hat eure Jungen wie blindaugige Katzen im Abwasser entsorgt,
ihr seid nicht von Stadt zu Stadt geirrt,
gejagt von Polizisten,
ihr habt den Unstern in der Morgenfruhe nicht gekannt,
die Waggons fur die Tiertransporte,
noch den bitteren Seufzer der Erniedrigung,
angeklagt eines nicht begangenen Verbrechens…
dann denkt bloss daran, dass ich unschuldig war
und dass ich, genau wie ihr, die Sterblichen jenes Tags,
ein Gesicht trug, das gezeichnet war
von Zorn, von Mitleid und Frohsinn,
ganz einfach ein Menschengesicht!